türme von babylon

brasilia
stadt der himmelstürmenden
türme und zehnspurigen straßen
da kam kein gott
und vewirrte allda ihre sprache
so bauten sie und bauten und bauten
türme, deren spitzen
bis in den himmel stoßen
sie bauten und wurden bezahlt
(eher schlecht als recht)
und einige machten sich einen namen
sprachverwirrung –
die autos flitzen sprachlos
aneinander vorbei, jagen
ihren geschäften nach
und vergessen millionen hungerde
sprachlos
im land der türme
wo fünf so viel haben
wie hundertmillionen
und die besser gestellten
gut leben
mit der armut der vielen

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horror vacui

ein nachmittag vor mir
ein ganzer nachmittag
wie soll die zeit vergehen
angst vor der leere

ich schaue um mich
keine leere, nirgends
leere zu sehen
wo ist die leere

außer in mir
angst vor der leere
angst vor mir selbst
ein rat von mir

an mich
begegnung
mit der leere
mit mir

 

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noch

kommen und gehen
werden, vergehen
sein und schein
blühen, verwelken

ergrünen, vergilben
röten und bläuen
schwärzen und weißen
sich färben, verblassen

erschallen, verhallen
ertönen, verstummen
singen und schweigen
hören, verstehen

bauen, verfallen
vereinen, entzweien
verübeln, versöhnen
verhören, zerstören

die amsel
singt
ihr abendlied
noch

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fluchtgedanken

damals
als noch die mauer war
hieß es: einem ddr-bürger (einem)
ist wieder die flucht in den westen gelungen, und
der bundespräsident nahm dies zum anlass
noch einmal auf die unmenschlichen zustände
im anderen teil deuschlands hinzuweisen
verbunden mit der forderung
den schießbefehl an der mauer auszusetzen
unsere freude über das gelingen der flucht
und unsere abscheu vor dem system drüben
sind grenzenlos und ungeteilt
unsere brüder und schwestern drüben
in diesem unserem geteilten vaterland

heute
is
t die mauer wie vergessen
nur am 13. august erinnern müde reden
noch an die teilung deuschlands
und wenn einem die flucht gelungen ist
einem von vielen, die ohne hoffnung sind
ist die freude durchaus nicht ungeteilt
die unsichtbaren mauern sind höher
und um vieles wirksamer
in dieser unserer geteilten welt
sollen sie doch bleiben, wo sie sind
diese brüder und schwestern
wenn sie verrecken
hat’s niemand gesehen

armes deutschland

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ein und all

billionen und eine
galaxie im endlich-unendlichen raum
strebend ins nirgend

billionen und eine
sonne in unsrer galaxie, nebelnd
kreisend um irgend

zwanzig planeten
blind irrend um eine sonne
immer dieselben bahnen

ein planet, winziger als
ein staubkorn im all, seltsam
von winzlingen bewohnt

sieben milliarden
häuser und wohnungen
über die erde verteilt

vorübergehend, und die zeit
geht vorüber, kürzer
als ein gähnen im all

ein wunder in billionen
und aberbillionen
und der einen galaxie

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aufbegehren

weltzeiten vor uns
kamen ohne uns aus
weltzeiten nach uns
werden nicht nach uns fragen
sie kamen aus dem nichts
und versanden im nichts

unser kleines leben:
nichts als ein aufbegehren
im nichts, aber
aufbegehren
ist besser
als schweigen

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reisefertig

ich gehe. ich muss
gehen. ich möchte
wohl sonstwohin
schauen, um nicht zu sehen
dass die reise längst
begonnen hat

ich blicke nach draußen, wo
lauter frühlingsjubel klingt
und mein selbstmitleid
übertönt. gute reise
jubelt es. Wir
kommen bald auch

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sterndeuterInnen-ballade

sie hatten ihre horoskope
und folgten einem stern
durch wüsten und durch biotope
sie suchten einen neuen herrn

und wochen über wochen
von zweifel kaum geplagt
in überzeugung ungebrochen
sich immer durchgefragt

in hütten und palästen
in tempeln, auf dem markt
mit worten oder gesten –
umsonst, doch stets erstarkt

verständnisloses köpfeschütteln
bestärkte sie auf ihrem weg
sie hätten ihn mit allen mitteln
verfolgt, wohin er sie auch zög –

bis sie zuletzt ein obdach fanden
bei flüchtlingen und das geschrei
des babys dort verbanden
mit horoskop und rechnerei

sie suchten jahrelang verkehrtes
und fanden weit entfernt, ganz weit
das flüchtlingskind – ein unerhörtes
symbol der neuen zeit

geleitet von illusionen
verirrt in ein asyl
in abgelegnen zonen
erreichten sie das ziel

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weihnachten, unromantisch

das eine kind, dies eine
interessiert mich nicht so sehr
den heiligenschein
haben ihm spätere angemalt
die ihn auch auf einen sockel
hoben, der nicht seiner war
dessen platz, immer unerkannt
bei den unbekannten war

das eine kind, dieses eine
war kein besonderes
viele wurden unterwegs geboren
wenn er das glück hatte
heil davongekommen zu sein
umso schlimmer
für die anderen, die
die flucht nicht überlebten

das eine kind, dies eine
interessiert mich nicht so sehr
wohl aber die vielen
ganz im sinne jenes einen

unbekannten

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herbsttreiben

treiben im sturm
wirbelnd woher und wohin
wie blätter im sturm
wie zynischer tanz
im lichtspiel der sonne
wie grinsendes irrlicht

zwischen wolken
vom mondschein
im dunkel der nacht
treibend die toten
und landend, was lebt
eher halbtot

wie strandgut
wie strandschlecht
getrieben, verfolgt
von heimlicher hand
unbekannt
aus irgend nach nirgend

und bleiben
im treiben
jetzt
gehetzt
illegal
überall

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